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laudatio ilona lenk
zum 18. februar 2005
liebe frau ilona lenk,
liebe familie lenk, , liebe gäste zur
eröffnung der ausstellung „via crucis“ zu
der zeit, als der „arbeitskreis kirche und
kunst“ beriet, eine weitere ausstellung im münster
zu machen, besuchte ich zufällig die kunstausstellung „drei
generationen“ in stuttgart. die drei generationen
sind
großvater lenk, vater lenk und tochter lenk.
die werke des großvaters lenk gefielen mir,
die werke des vaters lenk kenne und schätze ich
seit langem, die werke der tochter lenk berührten
mich.
als ich spontan auf die künstlerin zuging und
sie fragte, ob sie bereit wäre, im münster
st. paul einen anlaß des kirchenjahres
in ihrer art zu gestalten, da geschah etwas, was wir
vom arbeitskreis schon mehrmals erlebt hatten:
es kam ein leuchten in die augen der künstlerin,
ein strahlen ging über ihr gesicht: „in
einer kirche und in einer solchen kirche?
es stellte sich heraus, daß ilona lenk sich
schon länger mit biblischen
themen auseinandergesetzt hatte.
die „sieben letzten worte“ hatte sie
bereits in ihrer eigenen bildsprache dargestellt. „ecce
homo“ - hier nicht ausgestellt - ist eine
weitere arbeit aus der leidensgeschichte jesu.
diese darzustellen ist seit etwa 2001, seit ihrem
romaufenthalt, ein anliegen der künstlerin. es
ist ihr aufschrei gegen folter und grausamkeit: „was
tut der mensch dem menschen an“ lautet das
thema einer ganzen werkreihe.
der vierzehnteilige kreuzweg ist die dritte und jüngste
arbeit daraus.
meine damen und herren, sie haben auf der einladung
gelesen:
bilder von ilona lenk. sie haben sich wohl gewundert über
die bilder, die sie hier vorgefunden haben. bilder,
die sie wohl eher als skulpturen oder reliefs bezeichnen
würden, die ganze reihe als eine installation.
frau lenk sagt, es sind bilder:
sie bestehen, wie es bei bildern üblich ist,
aus holzrahmen, leinwand und farbe. dieser holzrahmen
ist unsichtbar, gibt dem bildkörper form und
halt. die form kann die eines quaders sein wie in
den sieben worten, die form eines würfels wie
in via crucis, oder die form einer welle wie in ecce
homo.
über diese rahmen spannt sich die leinwand oder ein
anderer textiler stoff. der stoff wird in falten gelegt
und dann bemalt. der stoff ist also nicht bloßer
bildgrund. er ist sozusagen das bild selbst. seine
falten bilden eine struktur. licht fällt darauf,
schatten bilden sich, eine zeichnung entsteht.
die falten überwinden die zweidimensionale ebene;
sie dringen ein wenig in den raum vor. dadurch sind
die arbeiten ein zwischenstadium zwischen zweidimensionalem
bild und dreidimensionalem relief: ilona lenk wagt
eine künstlerische gratwanderung.
in falten steckt vieles: die sprache verrät es
schon: vielfalt, einfalt, mannigfaltigkeit. aus der
gesteinsfaltung liest man
die erdgeschichte, aus den falten der mimik lebensgeschichten.
seit je hat das malen oder formen von faltenwürfen
die künstler gereizt. in vorgotischer zeit konnte
der betrachter gar konkretes aus falten erlesen: aus
dem schwung oder dem fallen der gewandzipfel zum beispiel,
ob jesus gerade spricht oder schweigt. wenn falten
ein t bildeten, so stand das für trinitas.
streng sind die lendentuchfalten am spätgotischen
kreuz in unserer kirche, königlich üppig
die gewandfalten bei der (später) gekrönten
madonna.
vor wenigen tagen entdeckte ich in der kunsthalle
mannheim ein werk von franz lenk, ilonas großvater.
es heißt „die gelbe tüte“.
diese tüte zeigt ein paar gebrauchsfalten, delikatest
gemalt – einfach schön. auch die faltenbilder
der frau lenk sind von großer
schönheit, aber sie sind nicht nur aesthetik.
sie setzt die falte als ausdrucksmittel ein. sie schrieb
mir: „die falten können zu einer aussage
verhelfen“. beim kreuzweg sind es die römischen
ziffern, die uns 2000 jahre zurückführen
oder uns alte kreuzwegstationen vorstellen lassen.
bei den letzten worten ist es das immerdichterwerden
und
das wiederabebben der faltung, das zur aussage
verhilft.
frau lenk erklärt: „die 7 letzten worte
haben eine beeindruckende dramaturgie der vierte aufschrei.
auf dem scheitelpunkt des leidens fragt der sohn den
vater, warum er ihn verlassen habe, um sich hernach
in einer sanften abwärtskurve in sein schicksal
zu begeben: in die ewigkeit, in gottes hände“ bei
allen werken hilft erst der titel dem betrachter auf
die spur, auf der er der immagination der künstlerin
folgen kann.
lenks bilder sind gedacht und nicht nur gemacht. nur
weil die künstlerin mit der summe ihrer erfahrungen
gedacht hat, wird das nach - denken möglich.
nachdenken bedeutet auch, dass wir betrachter genau
so gültig auf
ganz eigenes kommen können.die farben. die künstlerin
beschränkt sich in ihrer gesamtarbeit auf drei
farben: ein reines weiß, ein dunkles anthrazit,
ein leuchtendes orange. weiß, und nur weiß verwendet ilona lenk
für die biblischen themen dieser ausstellung.
im kirchlichen bereich steht weiß für,
licht, erlösung, unschuld und reinheit. seit
den frühesten religionen ist weiß das symbol
des höchsten gottes. schreiter hat im tauffenster
diese symbolik eingebracht: der weiße streifen über
allem steht für die gnade, die weiße klammerform
bedeutet !“den in
der gnade - im licht- stehenden.“
im fenster der sieben schmerzen mariens im nördlichen
seitenschiff findet sich eine ähnliche symbolik.
bei chagall sind menschen, die mit gott in kontakt
stehen, oft in weiß dargestellt, so moses beim
empfang der gebotstafeln. in manchen kulturen ist
weiß ist aber auch die
farbe der trauer und der angst. wer die weiße
fahne hißt, hat oder hatte
angst.
wenn man ilona lenks absicht kennt, die klage gegen
folter und grausamkeit darzustellen, könnte das
weiß in ihren arbeiten auch
trauer und angst bedeuten. (weiß ist die mutter
christi unter dem kreuz bei grünewald).
eine schöne deutung der farbe weiß habe
ich bei günther ücker gefunden, der seine
nagelbilder gerne weißt: „der zustand
weiß“ sagt er, „kann als gebet
verstanden werden“ zur weißen farbe kommt
ein auftrag von salz. es gibt einen glanz. salz zeugt
von spirituelle kräften: ihr seid
das salz der erde. aber auch: schweiß, tränen
und blut sind salzig.
der körper jesu im leid. die folteropfer der
welt im leid. dieser kreuzweg also stellt einen göttlichen
dar, einen unschuldigen – einen gefolterten
voll angst – ein gebet - in weiß. wie
sonst? viele arbeiten von ilona lenk sind serien.
die serie drückt für sie das vergehen der
zeit aus. einer serie entlang zu gehen, entlang zu
schauen, entlang zu denken braucht zeit. auch dem
kreuzweg jesu entlang zu gehen hat einen anfang und
ein ende und dauert eine zeit.
jede station dieses neuzeitlichen kreuzwegs steht
für einen bildstock. das bild ist verschwunden,
der sockel steht noch. die ziffer schmuck und aussage
in einem.
in jeder katholischen kirche gibt es einen kreuzweg.
der kreuzweg unserer kirche stammt aus dem ende des
19.
jahrhunderts. die beiden darstellungsweisen zeigen
eindrücklich
zeitlauf und entwicklung. die 14 stationen wurden
in den sechzigerjahren des letzten jahrhunderts auf
einer
leiste zu einem gesamtbild
zusammengeschoben. es stellte sich heraus, dass den
gläubigen das
entlanggehenkönnen fehlte. man brauchte keine
zeit, sah alles auf einen blick. außerdem fehlte
die zahl: 14! zweimal die 7,die himmel und erde umfassende
zahl 7!. deshalb ist der kreuzweg wieder auf seine
ursprüngliche
14 – teilige form gebracht worden.
„die letzten worte jesu am kreuz“ sind
sieben sätze aus allen vier evangelien, die
jesus in seiner todesstunde gesprochen hat. ich
kenne keine darstellung in der ikonographie. wohl
aber gibt es vertonungen. ein tiefes erlebnis bei
der musik von josef haydn hat ilona lenk zu ihrer
darstellung von „les
sept dernieres paroles“ geführt.
für eine frühere, kleinere version dieses
themas erhielt frau lenk beim kunstpreis 2004“der
diözese rottenburg - stuttgart „lebensspuren“ einen
zweiten preis. ilona lenk lebt in berlin und schwäbisch
hall.
in stuttgart wurde sie geboren. um ihre geburt rankt
sich die legende, daß ihrem vater während
des wartens auf den erlösenden anruf in einer
gastwirtschaft die künstlerische idee zu seinen
schichtungen kam: er vertrieb sich die wartezeit mit
bierdeckeln. die reduktion von form und farbe, das
variieren eines themas, das serielle ist es wohl,
was der vater seiner
tochter auf ihren künstlerischen weg mitgegeben
hat.
ilona lenk lebt ein doppelleben. als bühnenbildnerin
steht sie vor dem vorhang, mal hier, mal dort,
ist oft auf der reise, hat mit leuten zu tun, mit
darstellern und publikum zu tun. ist diese arbeit
getan, verschwindet sie sozusagen hinter den falten
ihres lebens - vorhangs in die stille und einsamkeit
ihres ateliers.
auch iona lenks „weltliche“ arbeiten sind
kontemplativ und verlangen die vorstellungskraft des
betrachters: „wüste orange wüste,
oder die weiße welle. humor blitzt auf beim
schwarzen wurm.
meine damen und herren,
der grundgedanke beim bau dieser bettelordenskirche
war das einfache, das sichbescheiden auf das wesentliche,
der verzicht auf dekoration. was immer später
an schmuck hereinkam, hat die geschichte wieder
weggespült. bis auf das bloße gemäuer
wurde das münster
entkleidet. gerade nun zeigt es seine schönheit.
altar, ambo, taufstein, die lapidaren arbeiten von
ulrich rückriem, die antwort darauf im fenster
von johannes schreiter, die faltung der leinwand als
idee des kreuzwegs von ilona lenk, dies alles ist
ein gültiges echo auf die intention der erbauer
des münsters und auf dessen geschichte.
ja, und so stehen sie nun da, für ein paar wochen,
die sieben letzten worte, die vierzehn stationen des
leids, von vorne nach hinten zu zählen, ohne
lichtstaffage, wie es die künstlerin wollte,
ohne geländer und abstandsstreifen, direkt auf
dem fußboden, schutzlos und ausgesetzt – und
doch und trotz allem: es siegt das weiß, der
glanz, die reinheit: wir sehen bilder mit österlicher
hoffnung!
marie-luise völter
weiter informationen zur künstlerin ilona lenk:
http://www.ilona-lenk.de |
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