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life-saving-systems

margarete rebmann

5. - 7. Februar 1999

kreuz

 

life-saving-systems

autofahren macht spaß, macht unabhängig und mobil, bietet hohen komfort und modernes lebensgefühl, gibt geborgenheit und sicherheit für die ganze familie. so jedenfalls versprechen es uns die texte und bilder der werbung. eine andere sprache sprechen dagegen die statistiken der tödlichen unfälle und die täglichen bilder der zerstörung und des todes in den nachrichten, die das andere gesicht der technik zeigen. seit einigen jahren kann die automobilindustrie jedoch mit einer verbesserten garantie für sicherheit und lebensschutz aufwarten, nämlich mit den airbags, die selbst bei schweren unfällen das leben noch einmal schützen und retten können. dieser wesentlich aus dem unsichtbaren heraus agierenden technik, die schon dafür sorgen wird, dass man heil davonkommt, will man sein vertrauen und seinen uneingeschränkten glauben schenken. airbags fungieren daher allein schon in ihrer visuellen präsenz als sinnbilder für einen weltlichen wie zugleich auch übergeordneten schutz.

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über 100 zu kissen umfunktionierte originale airbags, die frei um und über einem bettähnlichen, mit samt bezogenen podest gelegt sind, bilden das grundelement der arbeit »life-saving-systems« von margarete rebmann. die untersuchung und visualisierung sichtbarer und unsichtbarer systeme ist von beginn an der thematische schwerpunkt ihrer arbeit. in den letzten jahren stehen vor allem immaterielle bewegungen, chaosbedingte turbulente prozesse und geistige energien im zentrum der künstlerischen auseinandersetzung. es entstanden großflächige plastische zeichnungen (»transitorische linien«, »herzklopfen«, »autogramme des schlafs«, »todsicher«, »gedankenblitze« ) und als zentrales werk hierzu 1997 »life-saving-systems. himmelsbett«.

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als ein installatives werk kann diese arbeit je nach den örtlichen und räumlichen vorgaben in verschiedener gestalt gezeigt werden. auf jedem dieser vorgefundenen ready-mades aus der alltagswelt der waren findet sich überdies eine entscheidende künstlerische ergänzung: aufgedruckte votivbilder und amulette einer entsprechend großen zahl von schutzheiligen oder schlicht nur der namen des patrons oder des heiligen mit kurzer benennung seiner oder ihrer funktion. der beigefügte text geht mit den deutlich sichtbaren strichcodes der warenbezeichnung mehr als eine formale bindung ein.

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die funktionen einer außerirdischen rettungsinstanz werden hier mit den codes des weltlichen ökonomischen systems verknüpft.
die installation versammelt also eine fast unüberschaubare und lebendige vielfalt von heiligen des katholischen volksglaubens, der jeder stadt und jedem berufsstand, gegen jede krankheit, mühsal, not und gegen jede naturgewalt einen entsprechenden schutz verspricht.

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den status des heiligen haben oft solche menschen erlangt, die bereit waren, für christus den opfertod zu sterben und daher in den himmel aufgenommen wurden, um von dort aus den menschen erlösung und sicherheit bieten zu können. als himmlisches unterpfand, dessen besitz die schutzspendende kraft garantiert, hinterließen sie auf erden ihre bilder, die man anbeten kann, um dadurch hilfe aus dem transzendenten und unsichtbaren reich gottes zu erbitten. diese volkstümliche form der idolatrie, die zu diversen bilderstreitigkeiten, bilderdekreten und gar zu kirchenspaltungen führte, war nie ganz mit der christlichen theologie zu vereinen: das, was man in gestalt eines bildes anbetet, ist schließlich nur ein materielles artefakt und nicht die himmlische person selbst, die nur repräsentiert wird. doch dieses menschliche grundbedürfnis nach einem transzendenten »life-saving-systems« und nach unsichtbaren schutz, der dennoch einer beglaubigung bedarf, konnte allein auf intellektueller und rationaler ebene nie gestillt werden.

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diese animistische form volkstümlicher heiligenverehrung wird in margarete rebmanns arbeit mit subtiler ironie auf die weltlichen heilsversprechen der modernen technologie der airbags bezogen, deren eigentliche schutzbietende existenz ebenso im unsichtbaren verweilt wie die transzendenten körper der heiligen. eine traditionelle form des glaubens erscheint so in einem neuen gewand, dessen technische und zweckrationale gestalt darüber hinwegtäuschen mag, dass es sich hier vielleicht nur um eine graduelle differenz handelt.

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beide »life-saving-systems« entsprechen einem anthropologischen bedürfnis nach sinn stiftendem schutz und übergeordneter sicherheit, die sich weniger rational begreifen lässt, sondern an die man vielmehr glauben muss. rebmanns »life-saving-systems« veranschaulicht so in origineller wie poetischer weise das geschichtsübergreifende menschliche bedürfnis nach einem allmächtigen schutz, der das sichtbare mit dem unsichtbaren, die immanenz mit der transzendenz und mithin das leben mit dem tod vereint. der untertitel »himmelsbett« der arbeit, die dieser bezeichnung gestalterisch alle ehre macht, steht daher auch als metapher für die illusion, immer dort himmlisch gebettet und am leben erhalten zu werden, wo der tod allenthalben lauert; der tod als das große unbekannte des lebens, dem man immer einen sinn zu geben versucht.

martin schulz